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SINNFLUENCER FOR A LIVERABLE WORLD

1999 – Cina im Cyberspace

Bild: Reuters

28.10.99 SZ Feuilleton

China im Cyperspace
Das Internet untergräbt Pekings Zentralgewalt / Von Ian Buruma

Im Jahre 1993 verärgerte Rupert Murdoch, der australische Medien-Tycoon, das kommunistische Regime in China. Als guter Demokrat konstatierte er, dass Satelliten-Kommunikation und Fernsehen eine Bedrohung für totalitäre Systeme darstellen. Und so postierte er einen Satelliten, der den asiatischen Großraum mit „Star-TV“ beliefert, genau über das Reich der Mitte. Da Mr. Murdoch jedoch vor allem Geschäftsmann ist, fuhr er sein angeblich Kommunisten fressendes Programm alsbald wieder zurück. Peking hatte sich über die jetzt via Satellit ins Land dringenden BBC-Reportagen beschwert. Murdoch reagierte unverzüglich und entfernte alle BBC-Programme aus dem Sendegebiet. Chinas Medien strahlen nun weiter im fahlen Glanz seichter Unterhaltung und offizieller chinesischer Propaganda. Und Präsident Jiang Zemin kann Murdoch einen Freund des chinesischen Volkes nennen.

Diese traurige kleine Episode zeigt die Grenzen jeder Technologie auf. Natürlich können neue Medien eine Bedrohung für totalitäre Regime darstellen, doch hängt alles davon ab, ob und wie sie genutzt werden. Das Internet ist hierfür ein Paradebeispiel. Am Ende dieses Jahres werden etwa zehn Millionen Festland-Chinesen Zugang zum Netz der Netze haben. Zehn Millionen sind angesichts der Milliardenbevölkerung Chinas vielleicht keine große Masse. Aber die Chinesen mit Netzugang gehören zu den Intellektuellen des Landes: Sie verfügen über die beste Ausbildung und sind vertraut mit der neuen Technologie. Und das Entscheidende: Ihre Zahl wächst beständig. Sicher, die Netz-Chinesen allein werden kaum genügen, der Demokratie in dem Land auf die Sprünge zu helfen. Aber das Internet lüftet den Vorhang der politischen Geheimniskrämerei, ohne den eine Diktatur kaum überlebensfähig ist.

In der Zeit vor der Vernetzung existierte China – gerade in den Köpfen der Chinesen selbst – als sentimentaler Mythos: gespeist aus einer geschönten Vergangenheit, einer gemeinsamen Schriftsprache und dem Talmi cantonesischer Pop-Songs und Kung Fu-Filmen minderer Hong-Kong-Güte. Dieser Mythos eines chinesischen Mutterlandes, dem Festland- und Taiwan-Chinesen angehören, ja sogar die Sprengel aus Hongkong, Amsterdam und Vancouver, ist von allen modernen Regierungen Chinas gepflegt und ausgebeutet worden. Jeder Chinese, der sich kritisch gegen das Peking-Regime stellte, geriet darum unter das Verdikt, unpatriotisch, ja anti-chinesisch zu sein. Wenn man nationale Zugehörigkeit jedoch nicht über einen Mythos, sondern über gemeinsame politische Infrastruktur und Massenmedien definiert, gibt es gegenwärtig „drei reale Chinas“: die Volksrepublik des Festlands, Hongkong und Taiwan. Die Millionen Auslandschinesen in Übersee, Asien, Europa und Nordamerika gehören dieser Nation nicht an. Demgegenüber konnte das Internet erstmals so etwas wie ein „neues viertes China“, ein universelles China formieren.

Dieses ideelle China, das eine politische Gemeinschaft auch ohne Zugehörigkeit zu demselben politischen System etabliert, existiert nur im Cyberspace. Und nur hier können – zum ersten Mal – Taiwanesen, Angehörige der Volksrepublik sowie Exilchinesen in Übersee dieselben Zeitungen lesen und Meinungen austauschen, simultan und ungefiltert. Das Internet wurde so zum Forum einer weltweiten chinesischen Alternativ-Öffentlichkeit. Das sind „bad news“ für Peking. Denn es gehört zu den Paradoxien des offiziell gehegten China-Mythos, dass man zwar das „eine“ China deklariert, zugleich aber alles daran setzt, den freien Meinungsaustausch zwischen seinen Bestandteilen zu verhindern.

Doch in dieser widersprüchlichen Haltung zeigt sich das ganze Dilemma der Machthaber in Peking: Wie will man von den Errungenschaften westlicher Technologien profitieren, ohne von den angeblich subversiven Ideen des Westens beeinflusst zu werden. Wie also soll China sich weiterhin abschotten gegen alles, was das Internet an Informationen anschwemmt: das Gute wie Schlechte, das Hämische, Verachtende, Pornographische, Radikale, Demokratische, Konservative, Dumme wie Intelligente. Allerdings brandet derlei nur in der Theorie gegen Chinas virtuelle Mauern. Denn Peking versucht auf vielfältige Weise, den vermeintlichen Schaden durch allzu breiten Informations-Fluss zu begrenzen. Die einfachste ist, den Zugang zum Netz so teuer und hürdenreich zu machen, dass es nur wenige schaffen, die angeordneten Prozeduren durchzuhalten. Ein potentieller User in China hat polizeiliche Führungszeugnisse beizubringen und muss belegen, dass er linientreuer Staatsbürger ist. Außerdem muss er schwören, keine Web-Seiten abzurufen, die der Sicherheit und Integrität des Staates auch nur im entferntesten schaden könnten.

Natürlich ist diese Klausel gummiartig dehnbar. Besagt sie doch, dass alles schädlich für den Staat ist, von dem dieser behauptet, dass es schädlich ist. Die Regularien gelten genauso für die öffentlichen Internet-Cafés. Deren Betreiber müssen der Polizei jederzeit Rechenschaft über ihre Klientel geben und alle Namen auf Verlangen preisgeben. Doch die Cafés kümmern sich wenig um Personalien und bleiben den Behörden gegenüber stets säumig. Eine wirkliche Bedrohung für die Informationsfreiheit bilden nur die sogenannten „fire walls“. Wie alle User müssen sich auch die Chinesen stets in das Netz einloggen. Doch die Gateways Chinas werden vom Staat kontrolliert, das Verhalten der Surfer wird exakt protokolliert. Zudem sorgen sogenannte Zensorprogramme dafür, dass indizierte Webseiten gar nicht erst aufgerufen werden können. Die BBC-Seiten zählen dazu oder alle Angebote aus Taiwan. Die Liste ist endlos. Diese digitalen Kontrollorgane werden übrigens mit westlicher Hilfe errichtet. Yahoo ist federführend und – ja genau! – Murdochs News Corporation, die hierzu eine Verbindung mit People’s Daily, der Zeitung der Kommunistischen Partei, eingegangen ist.

Dennoch bleibt es relativ leicht, den staatlich aufgeschütteten Informationswall zu durchdringen. Eine Möglichkeit stellen die Proxy-Server dar, die Informationen aus Übersee an den offiziellen China-Gateways vorbei lancieren. Jeder Netzkenner in China, der etwas auf sich hält, hat ein paar Adressen solcher Proxys gespeichert. Und obwohl die chinesische Polizei ganztags damit beschäftigt ist, solche Proxy-Server zu bannen, tauchen immer neue Adressen auf. Man vermutet, dass die Adressen im Monatsturnus wechseln. Es ist das alte Hase-Igel-Problem des Internet – diesmal in chinesischer Spielart.

Eine andere Methode, die im Internet sonst in übelstem Ruf steht, ist das „Spamming“. Hier werden e-mails als anonyme Massen-Postsendungen, oft tausende gleichzeitig unters Netzvolk gebracht. Eine chinesische Dissidenten-Gruppe verschickt etwa aus Washington D.C. an etwa 250 000 willkürlich ausgewählte Adressaten einen sogenannten Newsletter, der Meldungen, Zeugenberichte und Kommentare aus Taiwan, Hongkong, China und den Übersee-Communities bündelt. 1998 wurde ein Mittelsmann aus dieser Gruppe, der 38-jährige Lin Hai aus Shanghai, von einem Großaufgebot der Polizei verhaftet. Sein „Verbrechen“ war, chinesische e-mail-Adressen für den Newsletter gesammelt zu haben. Er wurde zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Lin war – wie im chinesischen Sprichwort – „das Hühnchen, das geschlachtet werden musste, um die Affen abzuschrecken“. Doch sind dies nur unzureichende Versuche, Chinesen vom Surfen in verbotenen Cybergewässern abzuhalten. Doch wirklich kontrollieren oder gar aufhalten kann man die chinesischen Netzuser damit nicht. Die Regierung verhaftet allenfalls ein paar Hacker und manchmal auch die Köpfe kritischer Organisationen, aber deren einmal initiierte weltweite Kommunikation via Internet kann sie nicht mehrt stoppen. Die mystische Gruppe der Falun Gong etwa wurde in China verbannt, einige ihrer Führer sitzen im Gefängnis. Doch ist die Gemeinschaft weiterhin höchst aktiv – das Internet verbindet sie mit Anhängern weit über China hinaus bis nach USA und Europa. Sicher, das Internet wird China nicht alleine befreien können. Doch konnte der staatlich lancierte Mythos des „einen“ China entlarvt werden als Propaganda, die jeden Dissidenten zum Anti-Chinesen stempelt. Innerhalb der Kakophonie des Internet belegen die demokratischen Stimmen, dass China sich bereits als pluralistische Gesellschaft zu etablieren beginnt. Nicht in Hong Kong oder Taiwan, sondern im Cyberspace. Und was Peking auch anstellt, um diese Bewegung aufzuhalten – Festland-Chinesen sind jetzt schon Mitglieder dieser Gesellschaft. Es fehlt nur noch, dass man diese Cyberdemokratie schließlich auf die Erde herunterholt.

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Der Niederländer Ian Buruma lebt und publiziert in London. Seine letzten in Deutschland veröffentlichten Bücher sind „Erbschaft der Schuld“ und „Der Staub Gottes“.

Aus dem Englischen von Bernd Graff.

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